Handelsblatt 95

Mancher Trainer
will unterwandern, nicht unterweisen
Auf
dem Weg zu wirtschaftlicher Macht drängt Scientology in den
Mittelstand. Checklisten helfen, Personalberater und Trainer als
Agitatoren zu entlarven. Kenner der Szene warnen jedoch davor, über
Scientology ähnliche, nicht weniger gefährliche
Organisationen zu vergessen.
HANDELSBLATT,
Donnerstag, 30.11.95
"Wir
haben die Erfahrung gemacht, dass sich Scientologen in Unternehmen
meist selbst outen“, erklärt ein Personalleiter. "Auf dem
Schreibtisch des betreffenden Mitarbeiters fanden wir eines Tages ein
Flugblatt mit dem Copyright L. Ron Hubbard.“ Ein Versehen war das
nicht: Die Anhänger des inzwischen verstorbenen
Science-Fiction-Autors Hubbard, der 1954 in den USA die Scientology
'Church' gründete, haben den Auftrag, immer und überall für
ihr totalitäres System zu werben.
Die
Gefahr, die von Scientology ausgeht, ist erkannt. Seit Jahren häufen
sich Berichte über Psychoterror und finanzielle Ausbeutung.
Scientology gibt die Zahl seiner Mitglieder mit weltweit acht
Millionen an, Aussteiger Robert Vaughn Young spricht von nur 60.000.
In Deutschland will die Organisation, die nach einem Urteil des
Bundesarbeitsgerichts von 1994 keine Kirche, sondern ein
Wirtschaftsunternehmen ist, 30.000 Mitglieder haben. Experten halten
eine Zahl unter 10.000 für wahrscheinlich.
Ziel
ist die Weltherrschaft. "Wer jetzt lächelt, unterschätzt
Scientology“, sagt der Sektenbeauftragte einer evangelischen
Einrichtung in Hessen. "Die meinen das ernst.“ Unterwegs zur
Weltherrschaft versucht die Hubbard-Gemeinde, in der Wirtschaft Fuß
zu fassen. Das Referat Sekten- und Weltanschauungsfragen der
Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf, warnt vor
Beratungs- und Bildungsunternehmen, die mit scientologischem
Gedankengut hausieren. Auch Geschäftspartner, Kunden, Bewerber
kommen als Agitatoren in Frage.
In
jedem Scientologen steckt zwar ein Missionar, der sich irgendwann als
solcher zu erkennen gibt, dies jedoch nicht, bevor der Beratungs-
oder Arbeitsvertrag unterschrieben ist. Große Unternehmen haben
ihre Sicherheitsbeauftragten, um Verdachtsmomenten nachzugehen. In
vielen Fällen erübrigt sich auch eine gezielte Recherche.
"Wir würden es merken, wenn ein Trainer versuchte,
scientologisches Gedankengut einzuschleppen“, erklärt die
Leiterin Personalentwicklung eines Kreditinstituts. "Meine
Kollegen und ich besuchen regelmäßig Maßnahmen, die
von Externen durchgeführt werden. Außerdem bestimmen wir
die Inhalte und Methoden, nicht die Trainer.“
In
kleinen und mittleren Unternehmen ist das meist anders: Wo keine
strategische Bildungsarbeit stattfindet und der Inhaber aus dem Bauch
entscheidet, welches Seminar seinen Mitarbeitern gut tut, haben
Verführer leichtes Spiel. Kein Wunder, dass der Mittelstand
bevorzugtes Ziel der Scientologen ist, wie die Südwestfälische
Industrie- und Handelskammer zu Hagen weiß.
Information
und Beratung zum Thema Sekten bieten kirchliche Stellen, freie
Initiativen wie Sinus e.V. – Sekteninformation und Selbsthilfe
Hessen/Thüringen, die Innenministerien der Länder sowie
Polizei und Verfassungsschutz. Das Institut der deutschen Wirtschaft,
Köln, hat 1994 eine Checkliste veröffentlicht, die helfen
soll, Sektierer unter den Anbietern betrieblicher Weiterbildung zu
erkennen. Wichtigste Punkte:
-
Verdächtig
sind Seminarprogramme, die auf eine umfassende Veränderung der
Persönlichkeit abzielen. Die Anbieter versprechen ungewöhnlich
schnelle und große Erfolge. Die Trainingsziele haben wenig mit
den Zielen des Kunden zu tun.
-
Totalitäre
Sekten predigen Drill und Strenge. Das wirkt sich auf die von diesem
Umfeld geprägten Bildungsveranstaltungen aus. Ein Alarmsignal
ist, wenn Teilnehmer klagen, sie hätten Mühe, das Training
seelisch zu verkraften.
-
Oft werden
Folgeseminare angepriesen die zu Abschlüssen – zum Beispiel
"Meister“ – in einer wirtschaftsfremden Nomenklatura
führen. Die Einladung ergeht ausdrücklich auch an den
Ehepartner. Teilnehmern werden Bücher, Kassetten und Videos zu
überhöhten Preisen angeboten.
Eine erweiterte
Checkliste enthält das im November erschienene Buch "Scientology
im Management". Was den Umgang mit Trainer betrifft, orientieren
sich die Autoren, die Sinus-Vorsitzende Angelika Christ und ihr Mann
Steven Goldner , an den Empfehlungen des iw. Betont wird der
Verdachtsmoment "Intransparenz": Sekten-bewegte Trainer
verweigern konkrete Auskünfte über ihre Methode. "Das
kann man nicht erklären, das muss man erleben“, blocken sie
ab.
Die Checkliste von
Christ und Steven Goldner berücksichtigt auch andere
Personengruppen wie Personalberater. Einige Auswahlkriterien
verstehen sich von selbst: angemessener beruflicher Werdegang,
mindestens dreijährige Erfahrung in der Personalberatung,
seriöse Referenzen. Spezifischer sind die folgenden Punkte:
-
Wie wird der
Beratungserfolg gemessen? Ein Berichtswesen, das belangslose
Statistiken am laufenden Band produzierten, ist Scientology-typisch.
-
Welchen Eindruck
macht die Art der Akquisition? Das Sendungsbewusstsein der Sektierer
lässt sie oft anmaßend und bei Widerstand vorwurfsvoll
auftreten. Die Zahl der Kontakte ist hoch.
-
Benutzt der
Berater ein ungewöhnliches Vokabular? Scientologen etwa
sprechen von Dianetics, Hubbard-Technologie oder U-Man Test.
Unbekannte Begriffe sollten sofort hinterfragt werden.
Das sicherste Merkmal
von Personalberatern, die ihre Kunden mit sektiererischem Gedankengut
– und Mitgliedern der eigenen Fraktion unterwandern wollen, sind
Qualitätsmängel in der Dienstleistung. Stellenanzeigen
werden ohne Rücksicht auf das Anforderungsprofil formuliert, die
Bewerberauswahl erfolgt über einen Persönlichkeitstest, der
tätigkeitsferne und unzulässige Fragen enthält. Der
Auftraggeber kann die Chance nutzen, den Bewerber im
Vorstellungsgespräch nach seinen Erfahrungen mit dem
Personalberater zu fragen. Hat der Berater versucht, Psycho-Kurse zu
verkaufen, ist höchste Vorsicht geboten. Wo Personalsuche und
–auswahl professionell betrieben werden, finden Anhänger
totalitärer Organisationen nur selten ein Schlupfloch. Trotzdem
ist kein Unternehmen sicher vor falschen Propheten – auch nicht auf
Seiten der Geschäftspartner. Wer das Risiko verringern will,
kann eine Distanzierungserklärung verlangen. Sie sollten in
Bezug auf Scientology vier Punkte enthalten, empfehlen Angelika
Christ und Steven Goldner . Der Unterzeichnende erklärt,
-
Nicht nach der
Hubbard-Technologie zu arbeiten, sondern sie abzulehnen,
-
Keine Schulungen
nach dieser Technologie zu besuchen oder dafür zu werben,
-
Nicht Mitglied
der International Association of Scientologists zu sein,
-
Eine
Vertragsstrafe zahlen zu wollen, falls sich eine dieser Aussagen als
unwahr herausstellt oder in Zukunft verletzt wird. Die fristlose
Kündigung des Vertrags wäre die Folge.
Bestätige sich
der Scientology-Verdacht, bestehe allenfalls eine Ein-Prozent-Chance,
die betreffende Person "umzudrehen“. Angelika Christ und
Steven Goldner raten dringend davon ab, sich als Psychiater zu
versuchen. Besser sei, die Verbindung auf juristischem Weg zu lösen.
Es gibt bereits ein Urteil, wonach Arbeitnehmer entlassen werden
können, wenn sie am Arbeitsplatz missionieren.
Scientology ist nicht
die einzige Sekte, die deutsche Unternehmen zu vereinnahmen versucht.
Angelika Christ betont, dass im Schatten der Hubbard-Gemeinde
ähnliche Organisationen bestehen: "Langfristig haben die
vielleicht ein noch größeres Entwicklungspotential.“
Unternehmen, die sich freuen, den Haupteingang gegen Scientology
verbarrikadiert zu haben, werden womöglich im selben Moment
durch den Hintereingang von Landmark Education, Zeugen Jehovas, Mun
oder dem Universellen Leben besucht – Organisationen, die Christ im
Sektenumfeld ansiedelt.
Führungskräfte
und Unternehmer brauchen Distanz zu ideologisch angehauchten
Beratungs- und Trainingsansätzen. Sie dürfen aber nicht in
das Extrem verfallen, in jedem Büro einen Scientologen zu
wittern. Ein nachlässig geäußerter Verdacht hat schon
manche Laufbahn zerstört. Christ erinnert sich an ein Gespräch,
das sie mit einem Werkschutzbeauftragten geführt hat: Er war
150 Verdachtsfällen nachgegangen. In einem einzigen Fall konnte
er beweisen, dass Scientology im Spiel war. Christoph Stehr
Veröffentlicht
von: Handelsblatt am 02.12.1995
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